„Im Jahr 2001 hat die Stadt Frankfurt am Main im öffentlichen Nahverkehr einen mutigen Schritt vollzogen und ist dafür belohnt worden – und zwar mehr, als die Entscheidungsträger seinerzeit erwartet haben“. Dr. Hans-Jörg v. Berlepsch, Geschäftsführer der städtischen Nahverkehrsgesellschaft traffiQ, zieht zehn Jahre nach ihrer Gründung eine positive Bilanz. „Hohe Wirtschaftlichkeit, bessere Qualität, Innovationsfreunde und eine Organisationsform, die unter wechselnden und sich zum Teil widersprechenden Rechtsnormen den städtischen Nahverkehr immer auf einem sicheren Kurs gehalten hat, zeichnet den ‚Frankfurter Weg‘ bis heute aus.“
Ende der 1990-er Jahre: Kommt der uneingeschränkte Wettbewerb?
In den ausgehenden 1990-er Jahren wurde allgemein erwartet, dass ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs die Ausschreibung öffentlichen Nahverkehrsleistungen kurzfristig zur Pflicht machen würde. Im Jahr 2001 liefen die Konzessionen für nahezu alle Frankfurter Buslinien aus. Das Risiko, sich mit ineffizienten Kostenstrukturen dem dann aussichtslosen Wettbewerb stellen zu müssen, wollten – auch im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – weder der Magistrat noch die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (VGF) eingehen.
Gleichzeitig verlangte das Land Hessen vor dem europäischen Hintergrund eine Trennung von Besteller und Ersteller im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
1. September 2001: Gründung der Nahverkehrsgesellschaft
Mit der Gründung der städtischen Nahverkehrsgesellschaft am 1. September 2001 konnte die Stadt Rechtssicherheit für ihren Busverkehr schaffen und war für einen geregelten Übergang in den Wettbewerb gewappnet.
Der Vorteil der gewählten Lösung lag darin, dass sie sowohl unter den alten, regulierten Bedingungen als auch auf dem erwarteten wettbewerblichen Markt rechtssicher funktionieren würde.
Bei traffiQ, wie die Aufgabenträgerorganisation seit 2002 heißt, wurden alle wesentlichen Kompetenzen und Zuständigkeiten vereint, die es der Stadtpolitik ermöglichen, unabhängig von wettbewerbs- und vergaberechtlichen Vorgaben den Menschen in der Stadt Nahverkehr „aus einem Guss“ bereitzustellen.
traffiQ gibt den Fahrplan der Schienen- und Busverkehre und die Qualitätsstandards der Infrastruktur vor, gewährleistet die Finanzierung des Nahverkehrs, die Einhaltung der Qualität über alle Verkehrsunternehmen und hält den Kontakt mit den Fahrgästen über die Kundeninformationen, das Beschwerdemanagement und Mobilitätszentralen.
Eine derart „große Lösung“ für eine lokale Aufgabenträgerorganisation ist außerhalb Frankfurts bis heute nicht umgesetzt worden. Es sollte sich in den folgenden zehn Jahren zeigen, dass Frankfurt damit besser als viele andere Städte für die rechtlichen Entwicklungen im Nahverkehr gewappnet war – vermutlich auch besser, als es die Entscheider seinerzeit selbst voraussehen konnten.
Frankfurt stellt sich dem Wettbewerb im Busverkehr
Erst drei Jahre nach der Gründung von traffiQ ging der erste im Wettbewerb vergebene Busverkehr an den Start. Einerseits wollte man der VGF Zeit geben, sich auf die neue Lage einzustellen, andererseits mussten erst die Voraussetzungen für die Ausschreibung geschaffen werden: Die Auferlegung der Busverkehre an die VGF für den Übergang und die Aufteilung des Busnetzes in fünf „mittelstandsfreundliche“ Bündel, die sukzessive ausgeschrieben werden sollten. Im Dezember 2010 war schließlich das letzte Bus-Bündel im Wettbewerb vergeben.
Die klare Botschaft der Stadt Frankfurt, ihren Busverkehr in den Wettbewerb zu geben, hielt – das kann als sicher gelten – konkurrierende Verkehrsunternehmen davon ab, sich auf dem Klageweg Zutritt zu diesem Markt zu verschaffen.
Wettbewerb überzeugt: Wirtschaftlich und gut
Bis in das Jahr 2007, in dem die Europäische Kommission die Verordnung 1370 verabschiedete, blieb die Rechtslage für den Nahverkehr extrem unsicher. In diesen Jahren zeigte die wettbewerbliche Vergabe des Busverkehrs jedoch schon ihre klaren Vorteile, sowohl wirtschaftlich als auch qualitativ.
Trotz anspruchsvoller Qualitätsanforderungen, trotz für die Verkehrsunternehmen verpflichtender Einhaltung des Tariflohns, trotz Einführung strengster Umweltstandards für die Fahrzeuge (sog. „EEV“ als Mindeststandard) gab es eine ca. 25-prozentige Kostensenkung gegenüber dem ohnehin schon reduzierten Marktvergleichspreis bei den auferlegten Verkehren. Die Einsparungen kamen nicht nur der Frankfurter Stadtkasse zugute, die Zuschüsse zum Busverkehr reduzierten sich auf eine schwarze Null. Zusätzlich finanzierte die Wettbewerbsdividende die Ausweitungen des Busfahrplans um ca. 25 Prozent - etwa durch die Ausweitung des Nachtbusses auf alle Wochentage und andere Angebote, die die Nahmobilität verbesserten, wie z.B. Quartierbusse.
Dass solche Einsparungen keinen Bestand für die Ewigkeit haben würden, war der Stadtpolitik und traffiQ sehr wohl bewusst. Seitdem alle Bündel ausgeschrieben sind, geht der Preis naturgemäß wieder nach oben. Gestiegene Energiekosten, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für das Fahrpersonal sowie steigende Anforderungen an die Fahrzeuge bei der Abgastechnik, den Sicherheitseinrichtungen und anderem mehr, fordern ihren finanziellen Tribut.
Europäische Kommission lässt Direktvergabe zu
Im Jahr 2007 verabschiedete die Europäische Kommission die Verordnung 1370, nach der neben der Vergabe von Nahverkehrsleistungen im Wettbewerb eine Direktvergabe an ein kommunales Unternehmen unter klar definierten Ausnahmebedingungen möglich wurde. Nach anfänglicher Euphorie kam in vielen Kommunen Unsicherheit auf, fehlten doch der organisatorische Rahmen und das Know-how, um die hoch gehängten Hürden dieser Ausnahmeregelung zu überwinden.
In Frankfurt gelang es den Beteiligten – der Stadt, der Stadtwerke Holding und traffiQ - binnen anderthalb Jahren, die VGF vom 1. Februar 2011 an rechtssicher mit dem Betrieb der U-Bahnen und Straßenbahnen direkt zu betrauen. traffiQ fungiert hierbei für die Stadt als „zuständige Behörde“ und steuert für sie den Prozess der Direktvergabe.
Für Frankfurt war die Direktvergabe die vorteilhafteste Lösung. Denn für den Schienenverkehr waren bei einer Ausschreibung kaum ähnliche wirtschaftliche Vorteile wie im Busverkehr zu erwarten. Die Direktvergabe konnte dagegen in eine „win-win-Situation“ geführt werden: Die Stadt Frankfurt und ihre demokratische legitimierten Gremien haben die Gestaltungshoheit über den Schienenverkehr und eine Transparenz bei Qualität der Angebote und dem (finanziellen) Aufwand, wie sie bisher nicht vorhanden war. Die Stadtwerke Holding, zu der auch die VGF gehört, hat gerade auch durch die EU-Vorschriften zum Überkompensationsverbot verlässlichere Planungsdaten als in der Vergangenheit. Die bei der VGF Beschäftigten können auch weiterhin auf ihre sicheren Arbeitsplätze zählen.
Im Spannungsfeld zwischen der neuen EU-Verordnung, der Umsetzungsrichtlinie des Landes Hessen und des vollkommen veralteten Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) ist es traffiQ gelungen, auch den städtischen Schienenverkehr in eine rechtssichere Zukunft zu führen. Transparent und streng nach den Kriterien der EU-Verordnung durchgeführt, wurde auch dieses Frankfurter Vergabeverfahren durch möglicherweise konkurrierende Verkehrsunternehmen nicht angegriffen.
Projekte für einen modernen Nahverkehr
Und wie geht es weiter mit traffiQ? „Natürlich wird die städtische Nahverkehrsgesellschaft auch weiterhin den politisch Verantwortlichen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und ihr Kerngeschäft, die Organisation eines einheitlichen, ebenso attraktiven wie wirtschaftlichen Nahverkehrs mit Engagement betreiben“, meint der traffiQ-Geschäftsführer. „Als Regieorganisation des Frankfurter Nahverkehrs sehen wir es aber auch als unsere Aufgabe an, die Entwicklung von Bus und Bahn voranzutreiben.“
Um einige Beispiele zu nennen: Die Gesellschaft arbeitet seit langem in Projekten des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV) zum elektronischen Ticket mit. Im Konsortium mit dem RMV und weiteren Partnern wird ein intermodales Navigationssystem namens „MainGuide“ realisiert, das mit Echtzeitdaten dem Nutzer jederzeit die beste und nachhaltigste Lösung seiner Mobilitätsnachfrage anbieten soll. Gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung Frankfurt soll der Einsatz von Elektrobussen im Linienverkehr erprobt werden. Im Rahmen von EU-Projekten werden mit europäischen Partnern Ansätze entwickelt, wie den Menschen der Zugang zu Bus und Bahn erleichtert werden kann.
Die Zukunft des ÖPNV
„Ich gehe davon aus, dass der öffentliche Verkehr in Zukunft einen wachsenden Anteil des Modalsplits abdecken muss und gegenüber dem Individualverkehr an Bedeutung gewinnen wird“, meint Dr. Hans-Jörg v. Berlepsch. Das Potenzial dafür, so der traffiQ-Geschäftsführer weiter, hätten die Massenverkehrsmittel in Deutschland durchaus. Trotzdem wird ihre Zukunft sehr wesentlich von Faktoren abhängen, die nicht von den Aufgabenträgern, sondern vom Bund und Land beeinflusst werden. Das betrifft einerseits natürlich die Finanzen und das betrifft andererseits die gesetzliche Rahmensetzung.
Sollten die staatlichen Zuschüsse – auch aufgrund von Eurokrise und Schuldenbremse - auf breiter Front zurückgefahren werden, drohen Kürzungen des Leistungsangebots. Das würde Klimaschutz und Wirtschaftswachstum bedrohen. Denn weniger Nahverkehr heißt weniger Klimaschutz. Und ein Mangel an Mobilitätsangeboten außerhalb des Individualverkehrs beschränkt die Entwicklungsmöglichkeiten von Gewerbe- und Produktionsstandorten.
„Sollte der Gesetzgeber bei der Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) anstelle der Stärkung der Aufgabenträger eine Privilegierung von Privatunternehmen, vor allem deren Schutz vor Wettbewerb, in das Gesetz schreiben, wäre dies ein fatales Signal gegen die Weiterentwicklung des Nahverkehrs als wichtiges Angebot der öffentlichen Daseinsvorsorge“, stellt v. Berlepsch fest. „Wie auch immer es kommt, in Zukunft werden die Aufgabenträgerorganisationen kommunaler Gebietskörperschaften die entscheidende Stütze sein, um die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs zu sichern. Entscheidend ist, dass sie über das notwendige Know-how verfügen und mit der richtigen Kompetenz ausgestattet sind“.
10 Jahre traffiQ: Grafiken (PDF, 1.0 MB)Hier finden Sie folgende Grafiken:
- Buslinien-Bündelung Frankfurt am Main
- Jährliche Fahrgastzahlen 2006 - 2010
- Jährliche Nutzkilometer 2006 - 2010
- Kundenzufriedenheit 2002 - 2011